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Sommergarne: Leinen, Baumwolle und Co.

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Wenn der Sommer mit voller Kraft kommt, wird das Stricken für dich schnell zur Herausforderung. Die Hitze, schwitzige Hände, klebrige Garne – all das macht für dich das Arbeiten mit Wolle weniger angenehm. Wenn du nicht gerade im hohen Norden wohnst und von den kühlen Meeresbrisen profitierst, lässt du das Strickzeug in der heißen Jahreszeit daher sicher oft lieber liegen. Gestrickte Kleidung trägt man meist nur noch abends – wenn überhaupt. Trotzdem heißt das nicht, dass du auf die Freude am Handarbeiten verzichten musst. Die Wahl der richtigen Fasern macht einen großen Unterschied.

Denn auch wenn wir beim Thema Garn meist zuerst an Wolle denken, gibt es eine Vielzahl an Sommerfasern, die sich durch kühlende Eigenschaften, gute Feuchtigkeitsregulierung und angenehmes Tragegefühl auszeichnen. Zu den bekanntesten gehören: Baumwolle, Leinen, Lyocell und Seide. Doch was macht diese Fasern aus? Welche eignen sich gut zum Stricken – und welche lassen sich auch im Sommer angenehm spinnen?


Baumwolle – der Alltagsklassiker

Baumwolle ist aus unserem Kleiderschrank nicht wegzudenken. Laut WWF bestehen rund 50 % aller weltweit produzierten Textilien daraus. Sie ist weich, hautfreundlich und unkompliziert – gerade für Alltagskleidung. Doch ihre Popularität hat auch Schattenseiten: Der konventionelle Baumwollanbau benötigt enorme Mengen Wasser und wird meist in Monokulturen betrieben – oft in Ländern mit knappen Ressourcen und schwierigen Arbeitsbedingungen


Baumwolle wächst rund um den Äquator an Sträuchern. Die flauschigen Samenhaare werden geerntet (oft von Hand), von dem Samen befreit, gereinigt, gekämmt und zu Garn versponnen.

Vorteile:

  • Hautfreundlich, auch für empfindliche Haut und Allergiker
  • Atmungsaktiv
  • nimmt bis zu 21 % Feuchtigkeit auf ohne feucht zu wirken
  • Sehr stabil und waschbar bis 95 °C – hygienisch und pflegeleicht
  • In vielen Qualitäten und Farben erhältlich

Nachteile:

  • Kaum elastisch, verliert leicht die Form
  • Trocknet langsam, da Feuchtigkeit schlecht abgegeben wird
  • Umweltbelastung durch hohen Wasserverbrauch (bis zu 2.700 Liter für ein T-Shirt!; das entspricht im Schnitt dem Wasserverbrauch eines 2 Personen-Haushalts in 2 Wochen)
  • Häufig belastet mit Pestiziden und Herbiziden
  • Anbau in ärmeren Regionen, oft unter problematischen Bedingungen

Trotz dieser Punkte bleibt Baumwolle für viele Sommerprojekte beliebt – besonders für leichte Tops, Tücher oder Babybekleidung.


Leinen – der robuste Naturstar

Leinen hat eine lange Tradition in der Textilgeschichte. Heute fristet es im Vergleich zu Baumwolle ein Nischendasein – mit nur rund 2 % Anteil am Welttextilmarkt. Dabei hat die Flachsfaser viele Vorteile, gerade im Sommer: Sie ist kühlend, wirkt edel und ist ökologisch gesehen oft nachhaltiger.

Die Gewinnung von Leinenfasern ist aufwendig: Nach der Ernte werden vom Flachsstängel die Samen entfernt, der holzige Anteil muss durch sogenanntes „Rösten“ abgebaut werden. Danach folgt das „Brechen“ und „Hecheln“, wodurch die Bastfasern weiter verfeinert werden.

Vorteile:

  • Sehr robust und langlebig – perfekte Sommerqualität
  • natürlicher Glanz mit glatter Haptik
  • Hohe Luftdurchlässigkeit, wirkt angenehm kühlend
  • Nimmt bis zu 17 % Feuchtigkeit auf, trocknet aber schnell
  • Braucht kaum Dünger oder Pestizide, wenig bis keine künstliche Bewässerung nötig
  • Pflegeleicht: waschbar bei hohen Temperaturen, hygienisch

Nachteile:

  • Geringe Elastizität, daher knitteranfällig
  • Wirkt beim Verarbeiten zunächst steif – wird aber mit der Zeit weicher und geschmeidiger
  • Ökologische Belastung durch Abwässer bei der Wasserröste möglich

Leinen eignet sich besonders für luftige Sommerkleidung, Taschen, Heimtextilien – und mit etwas Übung auch für feines Gestrick.


Seide – Luxus für alle Jahreszeiten

Seide ist eine der edelsten Naturfasern und wird z.B. aus den Kokons des Maulbeerspinners gewonnen. Die Insekten leben nur wenige Tage, haben kein Verdauungssystem und werden vor dem Schlüpfen in heißem Wasser abgetötet, damit die Seidenfäden unversehrt abgewickelt werden können.

Vorteile:

  • Sehr weich, hautschmeichelnd und glänzend
  • Hervorragendes Feuchtigkeitsmanagement: bis zu 40 % Aufnahme ohne Nässegefühl, trocknet dabei schnell
  • Temperaturregulierend: kühlt bei Hitze, wärmt bei Kälte
  • Kaum Knitterbildung, sehr hoher Tragekomfort
  • Reißfest trotz feiner Struktur

Nachteile:

  • Kostspielig
  • Rutschig beim Verarbeiten – erfordert Erfahrung beim Spinnen und Stricken
  • Empfindlich: oft nur Handwäsche empfohlen

Für besondere Projekte, luxuriöse Tücher oder als Beimischung in leichten Sommergarnen ist Seide ein echtes Highlight.


Lyocell – die nachhaltige Innovation

Lyocell, auch unter dem Markennamen TENCEL™ bekannt, gehört zu den modernen Cellulosefasern. Im Gegensatz zur klassischen Viskose wird Lyocell in einem umweltschonenden, geschlossenen Kreislauf hergestellt, bei dem bis zu 99,5 % der eingesetzten Chemikalien und des Wassers wiederverwendet werden können. Die Faser stammt meist aus nachhaltig bewirtschaftetem, schnell wachsenden Holz.

Vorteile:

  • Umweltschonende Produktion
  • Sehr weich, glatt und glänzend
  • Kühlend und atmungsaktiv
  • Hohe Reißfestigkeit, auch im feuchten Zustand
  • Gute Feuchtigkeitsaufnahme (bis zu 12 %)

Nachteile:

  • Geringe Elastizität – knittert relativ schnell
  • Glatte Oberfläche macht die Verarbeitung anspruchsvoller
  • Rutscht leicht beim Spinnen und Stricken

Lyocell ist besonders geeignet für leichte Sommerkleidung mit fließendem Fall – von Blusen bis Sommerkleidern.


Spinne im Sommer, stricke im Winter

Nicht nur das Stricken, auch das Spinnen verändert sich mit den Jahreszeiten. Viele Spinner:innen – mich eingeschlossen – verlagern ihre Spinnzeit bewusst in den Sommer. Die Finger sind durch die Wärme geschmeidiger, das Arbeiten an Spinnrad oder Handspindel wirkt entschleunigend und meditativ. Gerade gröbere Wollfasern z.B Shetland, Swaledale, Exmoor Horn, Southdown, Shropshire… – eignen sich im Sommer hervorragend: Sie kleben nicht an den Händen, lassen sich luftig verspinnen und ergeben lockere, atmungsaktive Garne, die ideal für Herbst- oder Winterprojekte sind.

Feinere Fasern wie Merino, Alpaka oder Seide spinne ich persönlich lieber im Winter. Bei kühleren Temperaturen fühlen sich diese Fasern angenehmer an, sie laden sich weniger elektrostatisch auf und lassen sich präziser verarbeiten.

So entsteht ein natürlicher Jahresrhythmus: Spinnen im Sommer – Stricken im Winter. Und wenn die ersten kühlen Abende kommen, wartet ein Korb voller selbstgesponnener Garne auf die nächste Inspiration.


Und warum gibt’s bei Frau Wöllfchen (noch) keine Cellulose-Garne?

Vielleicht hast Du Dich schon mal gefragt, warum es bei mir – Frau Wöllfchen – keine sommerlichen Garne aus Baumwolle, Leinen oder Lyocell gibt. Die Antwort ist ebenso pragmatisch wie ehrlich: Es ist kompliziert.

Als Handfärberin bin ich darauf angewiesen, geeignete Garnbasen in guter Qualität zu bekommen – und genau da liegt das Problem. Cellulosefasern wie Leinen oder Lyocell werden von den gängigen europäischen Spinnereien nur in sehr begrenztem Umfang produziert. Die Nachfrage ist schlichtweg zu gering, um spezielle Produktionslinien dafür zu rechtfertigen. Gerade Leinen ist technisch anspruchsvoll zu verspinnen – vielen Spinnereien fehlt schlichtweg die passende Maschinerie.

Und dann sind wir Handfärber:innen auch noch winzige Fische im großen Garnteich. Große Spinnereien arbeiten in ganz anderen Mengenordnungen – da sind Sonderwünsche wie spezielle Lauflängen, Mischungen oder kleinere Chargen oft einfach nicht rentabel umzusetzen.

Hinzu kommt: Der Färbeprozess für Cellulosefasern unterscheidet sich grundlegend von dem für Proteinfasern wie Wolle oder Seide. Alles, was in meinem Arbeitsalltag sonst automatisiert oder eingespielt läuft, müsste ich für Baumwolle & Co. komplett umstellen. Und weil das so ist, braucht es nicht nur neue Technik, sondern auch viel Zeit zum Experimentieren, Lernen und Anpassen.

Zum Schluss wäre da noch der wirtschaftliche Aspekt: Cellulosegarne sind stark saisonal. Während Wollgarne das ganze Jahr über gefragt sind, verkaufen sich sommerliche Garne aus pflanzlichen Fasern oft nur drei bis fünf Monate im Jahr. Das bedeutet: Hohe Investitionskosten für ein sehr kleines Zeitfenster – wirtschaftlich nicht ganz einfach, gerade für kleine Handfärber.

Aber keine Sorge: In vielleicht nicht allzu ferner Zukunft wird es ein oder zwei handgefärbte Sommergarne geben – sobald ich die passende Basis finde, die Technik stimmt und das Ganze für mich und Euch Sinn macht. Bis dahin: Danke für Deine Geduld – und vielleicht spinnen wir uns den Sommer ja einfach selbst.


Fazit

Sommergarne müssen besonderen Ansprüchen genügen: Sie sollen kühlend, atmungsaktiv und feuchtigkeitsregulierend sein – ohne dabei an Schönheit und Haptik zu verlieren. Ob Du lieber strickst oder spinnst – die Wahl der richtigen Faser kann entscheidend sein.

Leinen begeistert mit Robustheit und natürlicher Frische, Lyocell punktet durch Nachhaltigkeit und Tragekomfort, Seide bringt edlen Glanz und Ausgleich bei Hitze, und Baumwolle bleibt ein bewährter Allrounder – trotz ökologischer Bedenken.

Probiere aus, welche Faser Dir am besten liegt. Denn auch der Sommer kann Spinnrad und Stricknadel gehören – auf die richtige Faser kommt es an.

Leseempfehlungen zum Thema Fasern, Fasereigenschaften und Einflüsse auf die Textilindustrie
  • Alfons Hofer: Stoffe 1 – Rohstoffe: Fasern, Garne und Effekte
  • Völker/Brückner: Von der Faser zum Stoff
  • Tyler Little: The Future of Fashion – Understanding Sustainability in the Fashion Industry