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Warum du bei mir (noch) keine Sommergarne findest – ein Blick hinter die Kulissen

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Wer im Sommer zu Nadel und Faden greift, kennt das Bedürfnis nach leichteren Garnen. Etwas, das luftig ist, nicht wärmt, sondern kühlt, weich zur Haut ist und sich trotzdem schön verarbeiten lässt. Da denkt man sofort an Baumwolle, vielleicht auch an Leinen, Ramie oder Lyocell. Und ja – die Frage liegt nahe: Warum gibt es bei Frau Wöllfchen keine Sommergarne?

Die Antwort ist weder spontan noch einfach. Aber sie ist wichtig – und vielleicht hilft dir dieser Beitrag, manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.


Baumwolle – die „natürliche“ Faser mit Schattenseiten

Baumwolle hat einen guten Ruf: Natürlich, pflanzlich, atmungsaktiv, angenehm zu tragen – was sollte daran falsch sein? Auf den ersten Blick wirkt sie wie der perfekte Kandidat für nachhaltige Sommerkleidung. Aber der erste Blick trügt.

Die Realität hinter Baumwolle ist leider oft alles andere als grün. Für ein einziges Baumwoll-T-Shirt werden im Durchschnitt etwa 2.700 Liter Wasser benötigt. Das entspricht rund sechs bis sieben Badewannen voller Wasser – oder dem Trinkwasserbedarf von zwei Menschen in einem Zeitraum von zwei Wochen.

Ein Großteil dieses Wassers fließt in die Bewässerung – und das in Regionen, in denen Wasser ohnehin schon knapp ist. Die Folge: Böden versalzen, Ökosysteme kippen, ganze Landschaften veröden. Die langfristigen ökologischen Schäden sind enorm – und oft irreversibel.

Und das ist nur ein Teil des Problems. Der konventionelle Baumwollanbau basiert fast immer auf Monokulturen. Damit die Pflanzen überleben, braucht es riesige Mengen an Pestiziden, Herbiziden und synthetischen Düngemitteln. Das schadet nicht nur den Böden, sondern auch den Menschen, die dort arbeiten.

Viele dieser Arbeiter*innen leben in Regionen mit niedrigen Löhnen und schwachen Arbeitsrechten. Sie stehen ungeschützt in giftigen Nebelschwaden, ohne ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung, ohne faire Entlohnung. In vielen Anbaugebieten ist auch heute noch Kinderarbeit traurige Realität.

Natürlich gibt es nachhaltigere Alternativen – etwa Bio-Baumwolle, angebaut unter strengeren Auflagen, ohne synthetische Pestizide, mit wasserschonendem Anbau und sozialer Verantwortung. Aber: Der Markt ist extrem intransparent.

Manche Zertifikate lassen sich kaum oder gar nicht zurückverfolgen. „Bio“ ist also nicht automatisch „gut“. Und genau da liegt für mich das Problem: Ich möchte keine Faser anbieten, bei der ich nicht zu 100 % hinter der Herkunft und den Bedingungen stehen kann.

Deshalb: Baumwolle wird es bei Frau Wöllfchen unter diesen Voraussetzungen nicht geben. Nicht, weil sie sich nicht färben lässt – das tut sie sogar recht gut. Sondern weil ich mich ganz bewusst gegen diese Faser entscheide. Aus Verantwortung. Aus Überzeugung.


Sommerfasern – schön gedacht, schwer gemacht

Nun könnte man sagen: Na gut, keine Baumwolle – aber es gibt doch auch Leinen, Hanf, Lyocell, Tencel, Ramie… Warum nicht die?

Und ja, du hast völlig recht: Diese Fasern sind ökologisch gesehen oft deutlich sinnvoller. Sie benötigen weniger Wasser, brauchen kaum bis gar keine Pestizide, sind robust und langlebig. Und sie tragen sich im Sommer einfach fantastisch – kühlend, glatt, leicht.

Aber hier komme ich als Handfärberin sehr schnell an ganz praktische Grenzen.

Viele dieser pflanzlichen und halbsynthetischen Fasern sind auf dem europäischen Markt schwer zu bekommen – zumindest in einer Qualität und Zusammensetzung, die sich gut färben lässt und für Strick- oder Häkelprojekte geeignet ist.

Ein Beispiel: Leinen. Eine wunderbare, traditionelle Faser. Aber die Nachfrage ist so gering, dass es in vielen Spinnereien kaum noch die nötige Technik gibt. Maschinen stehen still oder sind längst umgestellt – der Aufwand lohnt sich für viele Betriebe schlicht nicht mehr.

Und ich? Ich bin mit meiner kleinen Manufaktur ein Mini-Puzzlestück in dieser riesigen Produktionskette. Dadurch werden meine Bedürfnisse eher weniger berücksichtigt.

Und selbst ich an die passenden Rohgarne dran komme, beginnt die nächste Herausforderung: das Färben pflanzlicher Fasern.

Tierische Fasern wie Wolle, Alpaka oder Seide brauchen chemisch komplett unterschiedliche Farbstoffe als Cellulosefasern. Das bedeutet: komplett andere Farbstoffe, andere Vorbehandlung, andere Fixierung, andere Prozesse.

Meine komplette Färbetechnik müsste sich ändern – von der Lagerhaltung über die Ausstattung bis zum Know-how. Und ja, das ist spannend. Aber es ist auch ein Risiko. Denn Färbeversuche auf neuen Fasern brauchen Zeit, Geduld, Material und viele Fehlversuche – das funktioniert nicht nebenbei.


Blick nach vorn – mit Sorgfalt und Geduld

Trotz aller Hürden: Ich schließe Sommergarne nicht aus. Im Gegenteil. Ich wünsche mir, dir in naher zukunft ein oder zwei wirklich nachhaltige Sommerqualitäten anbieten zu können – Garne, die ökologisch und sozial überzeugen, die sich gut verarbeiten lassen, angenehm tragen und dabei natürlich wunderschön gefärbt sind.

Aber ich will es richtig machen. Nicht halbherzig. Nicht auf Kosten anderer. Nicht als Kompromiss.

Was es allerdings auch in Zukunft bei mir nicht geben wird, ist Baumwolle. Das ist eine bewusste Entscheidung – eine Haltung. Und ich glaube, genau solche klaren Entscheidungen brauchen wir, wenn wir textile Nachhaltigkeit ernst nehmen.


Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, bis hierher zu lesen. Hinter jedem Knäuel steckt mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Und je mehr wir wissen, desto bewusster können wir wählen.